Montag, 21. November 2011

Once more unto the breach, dear friends, once more!

(Achtung, der folgende Text kann Spuren von maßlosen Übertreibungen und extremen Pathos enthalten!)
 
Ich bin schon immer viel mit Zügen, Bussen, U- und S-Bahnen gefahren. In Nürnberg, in Erlangen, Bamberg, Paris, Barcelona, London, auf Mauritius und jetzt jeden morgen in München. Man kann also durchaus sagen: Der Olli, ja, der ist herumgekommen, der hat Erfahrung mit den Öffentlichen.

Ich bin dennoch etwas unschlüssig, wie ich mir ein Phänomen des Münchner U-Bahn-Berufsverkehrs erklären soll. Ein sehr unangenehmes Phänomen, um genau zu sein, wenn auch kein spezifisch münchnerisches. Ich denke, jeder hatte es schon mal mit dieser unangenehmen Spezies Mensch zu tun, die die Türen von Bussen und Bahnen regelrecht belagern, die auf jede Lücke warte, um bereits in das Fahrzeug zu schlüpfen, noch bevor die gegenüberstehenden Leute aussteigen konnten. Ich hasse sowas. Ernsthaft, warum macht man das? Das liegt auf einem Niveau mit Kellnern, die deine Bestellung korrigieren („Ich hätte gern ein weißes Limo.“ - „Ein Sprite also.“ - „Und für mich eine Spezi...“ - „Ein Cola-Mix, kommt sofort...“ - „Noch so'n Ding und ich hau Dir links und rechts eine auf die Waffel!“ - „Ein paar Schelln, kein Problem...“)

Bitte korrigiert mich (hehehe), aber ich habe das in Bamberg ungefähr wie folgt in Erinnerung: Wenn der Bus an eine Haltestelle gefahren kam, gab es zwar immer Leute, die von Außen bereits an die Tür kamen; meistens traten die aber respektvoll zurück, wenn sie sahen, dass da noch jemand aussteigen will. Man sagt „Dankrechdschee“ und bekommt ein herzliches „Ka-Dema!“ zurück, ich bin draußen, er ist drin, alle sind fröhlich, glücklich und vergnügt mit ihrem Leben. Ausnahmen bildeten da höchstens die Rentner (meistens weiblich, bewaffnet) oder die Schüler (klein, eckig und laut), wobei sie von den anderen Rentnern weiter hinten entsprechend zurechtgewiesen wurden - „Etz lass'd hald die Leid' erschdamol aussteig'n – mei suwos häd'n ma freia ja ned g'machd...“ Meist half da aber wahlweise ein freundliches Lächeln oder ein Blick, als ob man Kinder fressen würde – auch dies beides meiner Meinung nach Gesten, die Respekt ausdrücken (oder für solchen sorgen sollen).

In München ist das anders. Und es ist – erstaunlicherweise – auch anders als in den anderen Großstädten, die ich bisher ÖPNV-mäßig erkundet habe. Hier gilt am Bus und Bahnsteig noch das Recht des Stärkeren, wer zögert, verliert. Ganz besonders ist mir das am Gleis der U2 am Hauptbahnhof aufgefallen. Sobald ein Zug einrollt bringt man sich da in Stellung, um so schnell wie möglich in die Bahn zu hetzen, sobald der Weg frei ist. Dabei ist es nicht einmal so sehr das Problem, dass die Leute nicht warten würden, bis alle ausgestiegen sind – sie postieren sich in kleinen halbkreisförmigen Bastionen Basteien* um die Zugtüren, in deren Mitte jeweils eine kleine Bresche den Ausweg für die Aussteigenden markiert. Wenn man Glück hat – manchmal muss man sich diese Bresche auch erst selbst schlagen.


Symbolbild (Quelle: Wikimedia Commons)


Ich habe inzwischen meine ganz eigene Art, damit umzugehen. Für mich ist das Aussteigen – vor allem morgens – ein liebgewonnenes Ritual geworden, dass vielleicht mit den Mannbarkeitsriten der alten Germanen vergleichbar ist. Ich habe mich darauf verlegt, der feindlichen Masse in die Augen zu sehen und ihr wie ein Mann entgegenzutreten. Kein „Dürft' ich bitte?“, kein „Könnten Sie vielleicht...?“ – hier, auf den Bahnsteigen der Großstadt, egal ob unter freiem Himmel oder XY Meter unter der Oberfläche, muss ein Mann zeigen, dass er ein Mann ist. Dass er keine Furcht hat, freiwillig als erster in die Bresche zu gehen, Platz zu schaffen für die, die ihm folgen: Mütter mit Kinderwägen, halbkomatöse Pendler, alte Damen auf dem Weg zum Schnäppchenkauf. Ich weiß, diese Menschen verlassen sich auf mich, wenn ich meinen Platz einnehme, an den Türen des einfahrenden Zuges, quasi die Forlorn Hope des Berufsverkehr. Und wenn der Wagen dann zu stehen kommt, die Türen mir ihrem unverkennbaren Geräusch zur Seite gleiten und man im Hintergrund die blecherne Ansage des U-Bahn-Schaffners hört – dann fühlt man sich für einen kleinen Moment erst richtig lebendig...


* Nach Hinweis von 'Patrick Harper' in den Kommentaren 'Bastionen' durch 'Basteien' ersetzt. Sag noch mal einer, hier könne man nix lernen...

3 Kommentare:

  1. Ein Phänomen, das ich nach 1 1/2 Jahren Bamberg-Erlangen-Pendeln mit der Bahn auch immer wieder beobachten durfte.

    Dagegen ein ganz anderes Phänomen im Inneren des einfahrenden Zuges:
    Es gibt Exemplare der Gattung Mensch, die wie verrückt auf den Türöffnerknopf drücken, sobald draußen an der Tür der Bahnsteig vorbeizieht, auch wenn er das noch mit 40 km/h tut.
    Meine Gedanken dazu:
    "Gott verdammte Sch...., die verdammte Tür geht erst auf, wenn der Zug steht und auch dann erst, wenn dieser verfi... Türknopf grün leuchtet. Keine Sekunde vorher und es ist sch...egal wie oft du vorher auf diesen beschi.... Knopf drückst."

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  2. Held des Berufsverkehrs!
    Ich plädiere für ein "Denkmal des unbekannten Fahrgastes"! :)

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  3. Du willst doch nur ne field commission!...

    [besserwissermodus] und wenns halbkreisförmig ist, dann ist es eine BASTEI! Keine Bastion! [/besserwissermodus]

    Der Pat Harper deines Lebens

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