Mittwoch, 30. November 2011

Morgens in der Bäckerei oder viel Lärm um etwas Blätterteig

Wer mich gut kennt − und 'gut' bedeutet in diesem Fall 'hat mich schon mal morgens erlebt' − weiß, dass ich erst nach einem anständigen Frühstück so richtig anlaufe. Ich bin einfach nicht für Kaffee, Kippe und kalte Dusche geschaffen. Deshalb ist's für mich durchaus wichtig, manchmal morgens ein 'zweites Frühstück' − irgendwo zwischen Wohnung und Büro − zu bekommen. So kam es dann, dass ich regelmäßiger Gast in einer kleinen Bäckerei in Germering wurde...

Dieser morgendliche Besuch lief eigentlich immer nach dem selben Muster ab, das ich mal ein wenig ansprechender für euch aufbereiten möchte. Lest deshalb nun:

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Morgens in der Bäckerei
oder
Viel Lärm um etwas Blätterteig

Eine Komödie in 2 Szenen


1. Szene – Bäckerei

Die Szene spielt in einer oberbayerischen Kleinbäckerei. Die Auslage ist beherrscht von Butterbrezen und frischen Semmeln. Neben dem Tresen stehen auf der einen Seite zwei kleine Cafétische, auf der anderen ein Zeitungsständer mit den aktuellen Ausgaben von BILD, Abendzeitung und tz.

Hinter dem Tresen steht die resolute BÄCKEREIFACHVERKÄUFERIN in ihrer weißen Schürze und sortiert gerade einige Törtchen nach Größe, als sich die Tür öffnet (Klingelgeräusch!) und DER FRANKE eintritt.

Franke: Schönen guten Morgen!

Bäckereifachverkäuferin: Guten Morgen, was darf's denn für Sie sein?

F: 'A Hörnla', bitte.

B: 'A Was'?

F (zeigt auf die Auslage): 'Hörn-la'...

B (schaut leicht verwirrt auf den ausgestreckten Zeigefinger, runzelt die Stirn): Meinen Sie vielleicht 'a Groß-ó'?

F (nickt): Genau das.

B brummt unverständlich den Preis für das Gebäck, F zahlt und wendet sich zum gehen.

F (fröhlich): Einen schönen Tag noch!

B: Jaja, schönen Tag auch...

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Das 'panificium delicti'


Wer es bis hier noch nicht gemerkt hat: Der Franke war ich. Zunächst aus Gewohnheit, dann auch ein wenig aus Trotz − denn für mich war dieses wunderbare, leicht gebogene Frühstücksgebäck schon immer ein Bamberger Hörnla. Da kann man mir auch gerne erklären, dass es ganz viele Unterschiede zwischen dem nach meiner Universitätsstadt benannten Hörnla und dem bei unseren westlichen Nachbarn so beliebten Croissants gibt − für mich sehen beide gleich aus und laufen deshalb auch unter der Gattungsbezeichnung 'Hörnla'. Basta!

Nun spielte die oben beschriebene Szene zum ersten Mal 2010, als ich gerade nach München gezogen war. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits festgestellt, dass in dem Wohngebiet hinter dem Mehrfamilienhaus, in dem sich auch mein Appartement befindet, eine recht große Zahl Franzosen lebt. Morgens hört man meist Französisch auf den Straßen, wenn die Eltern ihre Kleinen in die Französische Schule nahe des Giesinger Bahnhofs bringen. Dazu gehört auch ein Mann mittleren Alters, der mit seiner Familie direkt an meinem Weg zur U-Bahn wohnt und eigentlich immer mit seinem Sohn das Haus verlässt, wenn ich gerade vorbeikomme. Man grüßt sich kurz, höflich aber unverbindlich und zieht dann weiter. Nur einmal, da musste ich lächeln – direkt nach Beginn des Oktoberfests 2010. An diesem Tag nämlich schlurfte ich wie üblich zur U-Bahn, als der große und der kleine Franzose vor mir auf den Gehweg traten − beide in Lederhosen gekleidet, der Junge sogar mit einem kleinen Trachtenhut.

Wie wir alle wissen, war 2010 auch das Jahr, in dem im Zuge von Thilo Sarrazins Buchveröffentlichung zahlreiche Integrationsdebatten den Alltag bestimmten. Diese Debatten im Hinterkopf lächelte ich kurz beim Anblick der beiden und dachte bei mir: „Auch irgendwie eine Art von gelungener Integration...“

Später diesen Morgen betrat ich erneut die Bäckerei. Die Verkäuferin und ich lieferten uns das übliche Spiel, ich zahlte und verließ in guter Stimmung den Laden, als es mich beim Ertönen der Türklingel plötzlich traf wie ein Blitz: Hörnla, Groß-ó, Integration, Sprache, Anpassung und Entgegenkommen...


Ich war ein Integrationsverweigerer!


Es konnte kein Zweifel bestehen: Ich kleidete mich nicht in die übliche Landestracht, ich nahm nicht oder nur bedingt an der Tradition meiner neuen Heimat teil (mein erster Besuch des Oktoberfests war deutlich später) und was am schlimmsten ist − ich weigerte mich, die Landessprache zu lernen! Ich sah schon vor meinen Augen das entstehen einer fränkischen Subkultur, mit Kellern statt Biergärten, Hörnla und Weckla in der fränkischen Bäckerei, rot-weißen Fahnen und einer Rede des Innenministers über Abschottung und gefährliche Umtriebe. Irgendein oberbayerischer Demagoge würde ein Buch schreiben, darüber, wie wir Franken uns in unseren Vierteln der Integration verweigern, dabei wie wild immer mehr kleine Bratwurst-Kinder zeugen und überhaupt, genetisch müsse man da ja auch aufpassen, ganz zu schweigen vom gefährlichen und fundamentalistischen Glauben an die unabdingbare Überlegenheit des fränkischen Bieres, der wie wir alle wissen vom Terrorismus nur um Haaresbreite entfernt ist...

All dies ging mir auf dem Weg von der Bäckerei zum Büro durch den Kopf. Konnte ich das zulassen? Konnte ich das mit meinem Gewissen vereinbaren?

Ich kam zu dem Schluss, dass ich zu weit gegangen war. Die Frankentasse in der Arbeit: OK. Die kleinen Witze mit den Jungs beim Fußballschauen: geschenkt! Aber wer in ein fremdes Land kommt, dort wohnen und arbeiten (und vor allem was zu Essen!) möchte − so hieß es doch landläufig − muss die Sprache lernen! 'Luja sog i!

So ging ich am nächsten Morgen wieder zur Bäckerei meines Vertrauens...

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2. Szene – Wiederum in der Bäckerei

Türklingeln

Franke: Schönen guten Morgen!

Bäckereifachverkäuferin (blickt bereits skeptisch): Guten Morgen, was darf's denn für Sie sein?

F: 'A Groß-ong', bitte.

B (blickt erschrocken auf): 'A Was'?

F (mit mehr Mühe bei der Aussprache): 'Groß-ó'?

Die Bäckereifachverkäuferin blickt immer noch ungläubig auf den inzwischen bekannten Kunden.

Sie lächelt.

FIN.

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(Hinweis: Ich bin mir mit der Schreibweise von 'Groß-ó' immer noch nicht sicher so sieht es aber am richtigsten aus. Die kleine Bäckerei findet man übrigens in der Streiflacher Straße 5 in Germering. Zusammen mit dem Metzger, bei dem ich versucht habe, ein Leberkäsweckla zu bestellen... Aber das ist eine andere Geschichte...)

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