Wer
mich gut kennt − und 'gut' bedeutet in diesem Fall 'hat mich schon
mal morgens erlebt' − weiß, dass ich erst nach einem anständigen
Frühstück so richtig anlaufe. Ich bin einfach nicht für Kaffee,
Kippe und kalte Dusche geschaffen. Deshalb ist's für mich durchaus
wichtig, manchmal morgens ein 'zweites Frühstück' − irgendwo
zwischen Wohnung und Büro − zu bekommen. So kam es dann, dass ich
regelmäßiger Gast in einer kleinen Bäckerei in Germering wurde...
Dieser
morgendliche Besuch lief eigentlich immer nach dem selben Muster ab,
das ich mal ein wenig ansprechender für euch aufbereiten möchte.
Lest deshalb nun:
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Morgens
in der Bäckerei
oder
Viel
Lärm um etwas Blätterteig
Eine
Komödie in 2 Szenen
1.
Szene – Bäckerei
Die
Szene spielt in einer oberbayerischen Kleinbäckerei. Die Auslage ist
beherrscht von Butterbrezen und frischen Semmeln. Neben dem Tresen
stehen auf der einen Seite zwei kleine Cafétische, auf der anderen
ein Zeitungsständer mit den aktuellen Ausgaben von BILD,
Abendzeitung und tz.
Hinter
dem Tresen steht die resolute BÄCKEREIFACHVERKÄUFERIN in ihrer
weißen Schürze und sortiert gerade einige Törtchen nach Größe,
als sich die Tür öffnet (Klingelgeräusch!) und DER FRANKE
eintritt.
Franke:
Schönen guten Morgen!
Bäckereifachverkäuferin:
Guten Morgen, was darf's denn für Sie sein?
F:
'A Hörnla', bitte.
B:
'A Was'?
F
(zeigt auf die
Auslage):
'Hörn-la'...
B
(schaut leicht
verwirrt auf den ausgestreckten Zeigefinger, runzelt die Stirn):
Meinen Sie vielleicht 'a Groß-ó'?
F
(nickt):
Genau das.
B
brummt unverständlich den Preis für das Gebäck, F zahlt und wendet
sich zum gehen.
F
(fröhlich):
Einen schönen Tag noch!
B:
Jaja, schönen Tag auch...
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Das 'panificium delicti'
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Wer
es bis hier noch nicht gemerkt hat: Der Franke war ich. Zunächst aus
Gewohnheit, dann auch ein wenig aus Trotz − denn für mich war
dieses wunderbare, leicht gebogene Frühstücksgebäck schon immer
ein Bamberger Hörnla. Da kann man mir auch gerne erklären, dass es
ganz viele Unterschiede zwischen dem nach meiner Universitätsstadt
benannten Hörnla und dem bei unseren westlichen Nachbarn so
beliebten Croissants gibt − für mich sehen beide gleich aus und
laufen deshalb auch unter der Gattungsbezeichnung 'Hörnla'. Basta!
Nun
spielte die oben beschriebene Szene zum ersten Mal 2010, als ich
gerade nach München gezogen war. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt
bereits festgestellt, dass in dem Wohngebiet hinter dem
Mehrfamilienhaus, in dem sich auch mein Appartement befindet, eine
recht große Zahl Franzosen lebt. Morgens hört man meist Französisch
auf den Straßen, wenn die Eltern ihre Kleinen in die Französische
Schule nahe des Giesinger Bahnhofs bringen. Dazu gehört auch ein
Mann mittleren Alters, der mit seiner Familie direkt an meinem Weg
zur U-Bahn wohnt und eigentlich immer mit seinem Sohn das Haus
verlässt, wenn ich gerade vorbeikomme. Man grüßt sich kurz,
höflich aber unverbindlich und zieht dann weiter. Nur einmal, da
musste ich lächeln – direkt nach Beginn des Oktoberfests 2010. An
diesem Tag nämlich schlurfte ich wie üblich zur U-Bahn, als der
große und der kleine Franzose vor mir auf den Gehweg traten −
beide in Lederhosen gekleidet, der Junge sogar mit einem kleinen
Trachtenhut.
Wie
wir alle wissen, war 2010 auch das Jahr, in dem im Zuge von Thilo
Sarrazins Buchveröffentlichung zahlreiche Integrationsdebatten den
Alltag bestimmten. Diese Debatten im Hinterkopf lächelte ich kurz
beim Anblick der beiden und dachte bei mir: „Auch irgendwie eine
Art von gelungener Integration...“
Später
diesen Morgen betrat ich erneut die Bäckerei. Die Verkäuferin und
ich lieferten uns das übliche Spiel, ich zahlte und verließ in
guter Stimmung den Laden, als es mich beim Ertönen der Türklingel
plötzlich traf wie ein Blitz: Hörnla, Groß-ó, Integration,
Sprache, Anpassung und Entgegenkommen...
Ich
war ein Integrationsverweigerer!
Es
konnte kein Zweifel bestehen: Ich kleidete mich nicht in die übliche
Landestracht, ich nahm nicht oder nur bedingt an der Tradition meiner
neuen Heimat teil (mein erster Besuch des Oktoberfests war deutlich
später) und was am schlimmsten ist − ich weigerte mich, die
Landessprache zu lernen! Ich sah schon vor meinen Augen das entstehen
einer fränkischen Subkultur, mit Kellern statt Biergärten, Hörnla
und Weckla in der fränkischen Bäckerei, rot-weißen Fahnen und
einer Rede des Innenministers über Abschottung und gefährliche
Umtriebe. Irgendein oberbayerischer Demagoge würde ein Buch
schreiben, darüber, wie wir Franken uns in unseren Vierteln der
Integration verweigern, dabei wie wild immer mehr kleine Bratwurst-Kinder
zeugen und überhaupt, genetisch müsse man da ja auch aufpassen,
ganz zu schweigen vom gefährlichen und fundamentalistischen Glauben
an die unabdingbare Überlegenheit des fränkischen Bieres, der wie wir alle
wissen vom Terrorismus nur um Haaresbreite entfernt ist...
All
dies ging mir auf dem Weg von der Bäckerei zum Büro durch den Kopf.
Konnte ich das zulassen? Konnte ich das mit meinem Gewissen
vereinbaren?
Ich
kam zu dem Schluss, dass ich zu weit gegangen war. Die Frankentasse
in der Arbeit: OK. Die kleinen Witze mit den Jungs beim
Fußballschauen: geschenkt! Aber wer in ein fremdes Land kommt, dort
wohnen und arbeiten (und vor allem was zu Essen!) möchte − so hieß
es doch landläufig − muss die Sprache lernen! 'Luja sog i!
So
ging ich am nächsten Morgen wieder zur Bäckerei meines
Vertrauens...
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2.
Szene – Wiederum in der Bäckerei
Türklingeln
Franke:
Schönen guten Morgen!
Bäckereifachverkäuferin
(blickt bereits skeptisch): Guten Morgen, was darf's denn für
Sie sein?
F:
'A Groß-ong', bitte.
B
(blickt erschrocken auf): 'A Was'?
F
(mit mehr Mühe
bei der Aussprache):
'Groß-ó'?
Die
Bäckereifachverkäuferin blickt immer noch ungläubig auf den
inzwischen bekannten Kunden.
Sie
lächelt.
FIN.
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(Hinweis:
Ich bin mir mit der Schreibweise von 'Groß-ó'
immer noch nicht sicher so sieht es aber am richtigsten
aus. Die kleine Bäckerei findet man übrigens in der Streiflacher
Straße 5 in Germering. Zusammen mit dem Metzger, bei dem ich
versucht habe, ein Leberkäsweckla zu bestellen... Aber das ist eine
andere Geschichte...)
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